Umgang mit selbstverletzendem Verhalten von Jugendlichen

Selbstverletzendes Verhalten (SVV) ist gleichbedeutend mit einer funktionell motivierten Verletzung oder Beschädigung des eigenen Körpers, die in direkter und offener Form geschieht, sozial nicht akzeptiert ist und nicht mit suizidalen Absichten einhergeht (Petermann & Nitkowski, 2015).

Die häufigste Form selbstverletzenden Verhaltens ist die direkte Schädigung der Haut, vorwiegend der Unterarme und Handgelenke, aber auch der Oberarme oder der Oberschenkel. Vor allem bei Mädchen und jungen Frauen ist das sogenannte Ritzen die üblichste Verletzungsform. Andere Formen SVV sind das Zufügen von Verbrennungen, das An-/Selbstschlagen oder das Aufkratzen der Haut. Die mit Abstand höchste Auftretenswahrscheinlichkeit SVV ist im Jugendalter bzw. In der Adoleszenz, wobei laut Plener, Schumacher und Kollegen (2015) der Häufigkeitsgipfel SVV zwischen 15 und 17 Jahren liegt.

Wenn Eltern, Angehörige, Freunde oder Lehrpersonen mit dem selbstverletzendem Verhalten eines Jugendlichen erstmals konfrontiert werden, löst dies häufig eine Mischung aus Entsetzen, Unverständnis und manchmal auch Enttäuschung über den Vertrauensbruch aus. Hinzu können noch Schuldgefühle kommen, das selbstverletzende Verhalten nicht verhindert zu haben oder unterbinden zu können, sowie das das Gefühl, durch das eigene Verhalten unter Umständen die Selbstverletzungen ausgelöst zu haben. Auch wenn vor allem Schuldgefühle häufig auftreten, sind diese meist jedoch weder angemessen noch nützlich.

Die Psychologin Tracy Alderman hat einige Empfehlungen für Angehörige von Personen mit selbstverletzendem Verhalten erarbeitet, deren Wirksamkeit sich bereits bewährt hat. Diese Empfehlungen haben das primäre Ziel, die Angehörigen zu unterstützen und ihnen die Unsicherheit im Umgang mit SVV zu nehmen.

  • Offen über das Thema Selbstverletzung sprechen

Bereits das Gesprächsangebot an den Jugendlichen wirkt oftmals unterstützend. Einleiten kann man das Gespräch u.a. Mit einer einfachen Fragen wie: “Wie lange verletzt du dich schon selbst?”

  • Die betroffene Person unterstützen

Oftmals bedeutet dies in erster Linie dem Jugendlichen einfach nur Zuzuhören. In manchen Situationen sollte man den Jugendlichen hingegen direkt fragen, wie und auf welche Weise man ihm über das Gespräch hinaus unterstützen kann.

  • Für den selbstverletzenden Jugendlichen da sein

SVV tritt häufig dann auf, wenn Jugendliche allein sind. Somit stellt die bloße Anwesenheit eines Angehörigen bereits einen Schutzfaktor dar. Wichtig hierbei, da Jugendliche häufig von sich aus nicht gerne direkt um Hilfe und Unterstützung bitten, sollte die Initiative von den Angehörigen ausgehen. Der Angehörige soll dem Jugendlichen deutlich machen, dass er verfügbar und bereit ist.

  • Nicht versuchen, das selbstverletzende Verhalten zu unterbinden

Dem Jugendlichen als Angehöriger oder Lehrperson das SVV zu verbieten hat sich in der Vergangenheit als kontraproduktiv herausgestellt. In vielen Fällen will der Jugendliche das SVV von sich aus gerne aufgeben, schafft dies aber nicht, da es für ihn einen aktuell wirksamen Bewältigungsmechanismus darstellt. Bei einem Verbot des SVV besteht die Gefahr, dass der Jugendliche das Verhalten noch mehr verheimlicht und noch intensiver mit Schuld, Scham und Versagen verbindet. Auch eine Verschlimmerung des SVV ist durch ein Verbot möglich, mit dem Ziel, das Gefühl von Selbstkontrolle wiederzuerlangen.

  • Die Belastung des Jugendlichen anerkennen

Angehörige sollten sich bewusst machen, dass die betroffenen Jugendlichen unter einer sehr hohen psychischen Belastung leiden und aktuell über kein anderes Mittel als die Selbstverletzung, im Umgang mit ihrer Situation, verfügen. Vor allem das Thema “emotionaler Schmerz” sollte von den Angehörigen direkt angesprochen werden.

  • Sich selbst Hilfe suchen

Je stabiler und ausgeglichener ein Angehöriger ist, desto besser kann dieser auch einer sich selbstverletzenden Person helfen. Durch die hohe Belastung der Thematik empfiehlt es sich für Angehörige, entweder bei Freunden und Kollegen oder bei Psychologen/Psychotherapeuten sich Unterstützung zu holen.

 

Quellen:

Plener, P.L., Schumacher, T.S., Munz, L.M., & Groschwitz, R.C. (2015). The longitudinal course of non-suizidal self-injury and deliberate self-harm: a systematic review of the literature. Borderline Personality Disorder and Emotion Dysregulation, 2(1), 2.

 

Petermann, F. & Nitkowski, D. (2015). Selbstverletzendes Verhalten: Erscheinungsformen, Ursachen und Interventionsmöglichkeiten (3., überarbeitete Auflage). Hogrefe Verlag.

 

Moritz Frötscher, Zentrum Mensch