Geschichte vom Monster Kakasi

 

Heute möchte ich mit Ihnen die Geschichte vom Monster Kakasi teilen, welche ich häufig Kindern vorlese, die mit verschiedensten Ängsten zu mir kommen. Diese Geschichte gefällt mir persönlich sehr gut, da sie eine wichtige und schöne Botschaft enthält.

 

Es gab einmal das Monster Kakasi. Es war ein schreckliches Monster, denn es war ein Angstmonster. Riesengroß und schwarz. Eigentlich wusste kaum jemand, wie es genau aussah, denn jeder sah es ein bisschen anders, jedem erschien es in einer etwas anderen Form. Aber alle fürchteten sich vor diesem dunklen, schwarzen Monster. Sie hatten Angst, dass das Angstmonster kommen wurde. Sie zitterten schon bei dem Gedanken an das Monster. Kakasi war eines der Namen des Angstmonsters, es hatte verschiedene Namen, unterschiedliche Menschen gaben ihm unterschiedliche Namen. Wenn Kakasi jemanden sah, dem es Angst machen konnte, blähte es sich ganz groß auf, manchmal schien es aufzuschreien, oder erschreckte auf andere Art und Weise ‐ bis, ja bis eines Tages, ein kleiner Zwergenjunge auftauchte. Kakasi blähte sich wieder gewaltig auf, noch nicht zu seiner ganzen Größe. Zuerst einmal. Denn es war ja auch nur ein kleiner Junge. „Hallo“, sagte der kleine Zwergenjunge. „Ich bin Quadri, weil ich der vierte Bub meiner Familie bin und das „i“ am Ende meines Namens ist, weil ich der Kleinste bin. Wie heißt Du?“ „Was?“, sagte Kakasi verdutzt, der noch nie erlebt hatte, dass sich ihm jemand vorstellte. „Ich bin Quadri, weil ich der vierte bin und mit „i“, weil ich der kleinste in meiner Familie bin“ wiederholte Quadri. „Und Du?“ „Kakasi“, sagte das Monster laut „Kakasi, der Schreckliche“. Und warum das „I“, fragte Quadri neugierig und ohne Scheu. Das „I“ brüllte Kakasi, äußerst verärgert, dass Quadri so wenig Respekt vor ihm zeigte, „geht dich gar nichts an. Ich bin der Schreckliche“. „Warum“, fragte Quadri weiter, „wirst Du der Schreckliche genannt?“ Das verärgerte Kakasi noch mehr. „Weil ich eben schrecklich bin!“ brüllte er. „Ich bin das Angstmonster, siehst Du das denn nicht? Viele Menschen kennen mich, für jeden habe ich eine andere Gestalt, aber sie wissen alle, was Angst ist. Und für manche bin ich besonders groß“. Und mit diesen Worten blähte sich das Monster wieder auf. „Ach so“, sagte Quadri. Was heißt da „ach so“ brüllte Kakasi, nun richtig wütend und schon nahe am Platzen. „Ach so“, sagte Quadri, „heißt, dass ich verstehe, dass Du ein Angstmonster bist. Wie alt bist Du denn?“ fragte Quadri weiter. „Wie alt?“ antwortete Kakasi verdutzt, dem noch nie, seit er sich erinnern konnte, solche Fragen gestellt worden waren. „Das weiß ich nicht genau“, musste er dann zugeben. „Seit wann gibt es dich denn?“ probierte Quadri es andersherum. Darauf wusste Kakasi eine Antwort. „Oh“, sagte er voller Stolz, „mich gibt es schon immer, seit es Menschen gibt“. „Warum?“ fragte Quadri. „Ja“, sagte Kakasi stolz, „weil die Menschen Angst brauchen. Sie brauchen sie, um Gefahr zu erkennen, um vor ihr weglaufen zu können oder sich zu verstecken oder sich zu wehren.

Stell dir vor, da kommt so ein Säbelzahntiger auf einen Menschen zu und der läuft nicht weg, weil er vergessen hat, Angst zu haben. Das wäre doch eine feine Sache für den Säbelzahntiger gewesen, aber nicht fur den Menschen. „Kann man denn auf dich bei Gefahr vergessen?“, meinte Quadri. „Nein, naturlich nicht“, antwortet Kakasi voller Stolz. „Ich komme ganz von selbst, ganz schnell geht das, das ist ja ganz wichtig. Mit dem Denken waren die Menschen viel zu langsam, da wäre der Säbelzahntiger viel schneller“. „Verstehe“, meinte Quadri. „Dann bist Du doch eigentlich sehr wichtig“. Und nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: „Und heute, wo es doch keine Säbelzahntiger mehr gibt? Wozu bist du heute noch wichtig?“ „Ach ja“, ‐ und das war das erste Mal, dass Kakasi so etwas wie Traurigkeit in der Stimme hatte, „heute ist das viel komplizierter. Das, wofür ich geschaffen wurde, gibt es nur mehr selten. Dafür gibt es ganz andere Sachen. Wenn man über eine Straße geht und Autos kommen angeschossen, da sollte man schon vorsichtig sein, aber ein Angstmonster ist da auch überflüssig. Zum Glück für die Menschen gibt es heute sehr wenige wirklich gefährliche Situationen“. Kakasi, der ganz glücklich war, dass endlich jemand seine Bedeutung und Sinn erkannte, schrumpfte etwas, weil es ja nicht mehr notwendig war, dass es sich so aufblähte. „Aber“, sagte Kakasi nun, weil es ein bisschen Vertrauen in Quadri bekommen hatte, „es ist so anstrengend!“ „Was ist anstrengend?“ fragte nun Quadri, neugieriger geworden. „Angst zu machen, das ist sehr anstrengend“ seufzte Kakasi, froh, endlich jemanden zum Reden getroffen zu haben. Er hatte sehr selten Gelegenheit, mit jemandem zu reden. „Es ist so anstrengend, immer Angst zu machen, sich so groß aufzublähen, wo doch manchmal nur ein klein bisschen von mir schon völlig ausreicht. Immer muss ich der Schreckliche sein und niemand weiß, wie ermüdend und anstrengend das auf die Dauer ist. Ich möchte mich so gerne einmal ausruhen!“ seufzte das Angstmonster und schien auf einmal ziemlich klein. „Und niemand mag mich für das, was ich tue, alle wollen mich los sein“ – und es schien fast, als würde das Angstmonster zu weinen

beginnen. „Dabei, schniefte es, „war ich ja wirklich einmal richtig wichtig und hatte einen Sinn, aber das weiß ja niemand mehr!“ Jetzt war es mit der Beherrschung des Angstmonsters, das jetzt gar nicht mehr wie ein Angstmonster aussah, fast vorbei. „Ach so“, sagte Quadri wieder und ging auf das Angstmonster, das keines mehr war, zu, um es zu trösten. „Weist du“, flüsterte Kakasi nun ganz leise, „das „i“ im Namen, das habe ich weil ich doch eigentlich nur so ein kleines Monster bin, das groß erscheinen möchte und deshalb muss ich mich manchmal so aufblähen, damit ich wenigstens ein bisschen gruselig bin. Aber das ist so anstrengend!“ Und nun heulte Kakasi wirklich los und die Tränen flossen nur so aus seinen Augen und irgendwie veränderte sich dabei seine ganze Gestalt, sein Aussehen und auch seine Farbe, vielleicht wurde es sogar bunt. Quadri streichelte Kakasi und Kakasi begann zuerst leise und schließlich lauter zufrieden zu grunzen. „Weist du was?“, meinte Quadri, „ich werde für dich aufpassen, dass alles in Ordnung bleibt und nichts passiert, und Du kannst dich inzwischen ausruhen“. „Meinst Du das wirklich?“ fragte Kakasi. „Das würdest du wirklich fur mich tun?“ „Natürlich, klar, wir sind ja Freunde“, meinte Quadri, „das nächste Mal machen wir es umgekehrt“. „Wunderbar“, sagte Kakasi nun schon ziemlich leise „und danke“ und schlief mit einem langen und tiefen Seufzer ein. Noch im Schlaf sah man die eine oder andere Träne über sein Gesicht laufen, bis er mit einem kleinen Lächeln sanft und ruhig atmend schlief.

Moritz Frötscher, Zentrum Mensch