Der innere Kritiker


“Ich bin ein Versager. Ich kann gar nichts!”
“Mit mir stimmt etwas nicht, ich bin nicht normal.”
“Ich bin hässlich! Diese große Nase kann ja niemand schön finden…”
“Das kann ich gleich bleiben lassen. Das schaffe ich sowieso nicht!”
“Ich bin an allem Schuld. Immer mache ich alles kaputt.”
“Ich bin einfach nicht gut genug.”


Jeder von uns hat solch eine kritische Stimme in sich, die uns sagt, wie wir unser Leben zu leben haben und die unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Unser innerer Kritiker meldet sich vor allem dann, wenn wir unseren eigenen Erwartungen (vermeintlich) nicht gerecht werden. Oder wenn wir glauben, den Erwartungen unserer Mitmenschen nicht entsprechen zu können. Er besteht aus negativen Gedanken, Glaubenssätzen und Meinungen über unsere Person und wartet nur darauf uns bei einem Fehler, einem Missgeschick oder einer Schwäche zu ertappen. Der innere Kritiker ist in der Regel nicht „einfach nur kritisch”. Denn er stellt so hohe und unrealistische Anforderungen an uns, dass wir diese nie erreichen können. Er gibt uns die Schuld, wann immer etwas schief geht. Er kritisiert, vergleicht und stellt fest, dass uns etwas fehlt. Dadurch steht er einem guten Selbstwertgefühl im Wege, und hat auch meist nichts mit der uneingeschränkten Wahrheit zu tun.
Woher kommt diese kritische Stimme?
Die Psychologie geht davon aus, dass hinter dem inneren Kritiker negative Glaubenssätze stecken, die meisten von denen wir in der Beziehung mit unseren engsten Bezugspersonen, vor allem unseren Eltern, erwerben. 
Als Kind schützt uns der innere Kritiker vor Bestrafung, achtet darauf, dass wir uns nicht in Gefahr bringen und sorgt dafür, dass wir uns an die Normen der Gesellschaft anpassen. Das ist gut und notwendig, somit funktional.
Wenn wir jedoch älter sind, kann der verinnerlichte Glaubenssatz „Du musst stets fleißig sein und fest arbeiten, um gemocht zu werden” dazu führen, dass der innere Kritiker immerzu antreibt, uns nie zur Ruhe kommen lässt, und ständigen Druck macht! Untätigkeit würde in diesem Falle zu starken Schuldgefühlen führen.
Das will natürlich nun nicht heißen, dass unsere Eltern an eventuell negativen Glaubenssätzen „Schuld haben”. Es lohnt sich jedoch, genau hinzuschauen und den eigenen inneren Kritiker kritisch zu hinterfragen. 
Handelt es sich bei der aktuell kritischen Stimme um eine „gesunde“ Selbstkritik, die uns konstruktiv die Richtung weist und somit motiviert uns weiterzuentwickeln? Oder verbirgt sich dahinter ein sehr strenger, schädlicher Teil, der abwertende, herablassende und verallgemeinernde Botschaften aussendet („Das schaffst du nie!“), welche belasten und nur hemmen?

Übung: Den eigenen inneren Kritiker kennenlernen

  1. Erinnere dich an eine der letzten Situationen, in denen dein innerer Kritiker aktiv war. Was hat er zu dir gesagt? Schreibe die Sätze deines inneren Kritikers so genau wie möglich auf. Zum Beispiel: „Du wirst bei dieser Aufgabe wieder scheitern!“
  2. Nimm dir nun ein paar Minuten Zeit, um dir zu überlegen, welche Glaubenssätze hinter den Aussagen deines inneren Kritikers stecken könnten. Hinter der oben genannten Aussage, könnte zum Beispiel der folgende Glaubenssatz stecken: „Egal wie sehr ich mich anstrenge – ich bin nicht gut genug.” Schreibe alle Glaubenssätze auf, die dir passend erscheinen.
  3. Formuliere nun positive Glaubenssätze, die du deinem inneren Kritiker entgegenstellen möchtest. Frage dich also, welche Glaubenssätze du lieber haben würdest. Schreibe auch diese auf. Das könnte so etwas sein wie: „Meine Arbeit muss nicht perfekt sein. Ich bin mehr als meine Arbeit!”
  4. Solltest du in Zukunft wieder einmal die Stimme deines inneren Kritikers hören, denke ganz bewusst an deine alternativen Glaubenssätze. So kannst du deinem inneren Kritiker liebevoll entgegentreten und für dich einstehen. 

     

Dr. Valentine Inderst